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Silben ist Gold.

Wanderlust oder Die Sehnsucht nach dem Paradies

Oswald Frankes Reisetagebuch Das gleiche immer Meer ist vom 01. Juli 2017 bis zum 29. Oktober 2017 im Thüringer Museum im Eisenacher Stadtschloss zu bestaunen.

Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Sonntag 10:00 bis 17:00 Uhr

Seine Enkelin, Jenny Feuerstein, zum Buch und zur Ausstellung:

Mein Großvater ist immer ein Wanderer geblieben, noch als meine Großmutter und er, wie wir, im Neubaugebiet Eisenach-Nord lebten. Wenn sie zu Besuch kamen und die Balkontür offen stand, klingelte er nicht, sondern nahm einen Grashalm in die Hände und kündigte ihr Kommen darauf spielend an. Wenn er mit uns Kindern wandern ging, spitzte er uns die Wanderstöcke, die wir am Wegesrand aufgelesen hatten, mit einem Taschenmesser.

Unvergesslich der Moment, als wir mit unseren Großeltern zu dem Plattenbau spazierten, in welchen sie einziehen sollten, wie wir hinter dem Haus standen und mein Großvater sehr vielbedeutend und ernst, mit einem Anflug von Traurigkeit sinngemäß sagte: "Hier werden wir wohnen.", wobei er zu einem der Fenster wies, einem schwarzen Rechteck, so schwarz wie der Einband seines Tagebuchs, von dem ich zu diesem Zeitpunkt, es war Anfang der 80er Jahre, nichts wusste, an das er in diesem Moment aber gedacht haben muss.

Ich selbst wohne schon immer in seinem Tagebuch aber tatsächlich begegnete es mir erst Ende der 90er Jahre, als mein Großvater bereits verstorben war. Ich kopierte mir die Tagebuchseiten, um sie mir zu übersetzen, kam dann aber im Durcheinander, welches das eigene Leben mit sich bringt, nicht dazu. Die Rückseiten der Kopien, die ich gemacht hatte, wurden später mit Typografietheorie bedruckt, die ich fürs Studium brauchte, sodass sie mir über die Jahre, wenn ich in meinen Ordnern suchte, immer wieder begegneten. Es war nicht die Zeit, wie man so sagt. Bis mich Anfang des Jahres 2014 der Wille packte, endlich das Buch zu übertragen, mit dem Vorhaben, es in meinem kleinen, zwischenzeitlich herangewachsenen Verlag zu publizieren.

Das Entziffern der Handschriften meines Großvaters, die etwas Seismografisches haben, nahm mehrere Wochen in Anspruch, dabei half mir sehr, ihn in meiner Kindheit erlebt zu haben, das Wissen um seinen speziellen Wortwitz und seinen besonderen Blickwinkel auf die Welt. So erlernte ich das Sütterlin.

Sein Wortwitz und seine Sichtweise sind es auch, die das Buch so lesenswert machen. Seine teils ins Lyrische gehende Sprache, die Vielschichtigkeit seiner, als schlichte Reisenotizen daherkommenden Aussagen, die bereits darin verborgene Liebeserklärung an meine Großmutter und wie er sich selbst und sie auch aus dem damaligen Weltgeschehen entflechtet. Seither sind nun nahezu 100 Jahre vergangen, die man in vielerlei Hinsicht besser versteht, wenn man sein Reisetagebuch "Das gleiche immer Meer", das ich nach einem seiner Tagebucheinträge benannte, gelesen hat.

Impression aus der Ausstellung: Wanderlust oder Die Sehnsucht nach dem Paradies